Kritik an Luxusrenten für Europaabgeordnete: „Eine Lizenz zum Gelddrucken“
Für Inge Gräßle ist der Luxemburger Pensionsfonds, aus dem zahlreiche Europaabgeordnete eine mehr als üppige Zusatzrente bekommen, „ein Evergreen“. Die CDU-Bundestagsabgeordnete, die lange Jahre dem Europäischen Parlament angehörte und dort zeitweise dem Haushaltskontrollausschuss vorstand, sorgte zusammen mit anderen dafür, dass die Altersvorsorge für EU-Parlamentarier 2009 vereinheitlicht wurde und die „abenteuerliche Konstruktion“ des Fonds zumindest kein Teil der aktuellen Pensionsansprüche mehr ist.
Gedacht war er ursprünglich einmal, um auch jene Parlamentarier abzusichern, deren Heimatländer – zum Beispiel Italien – keine angemessene Versorgung für Europaabgeordnete boten. Im Laufe der Jahre schlossen sich jedoch immer mehr Kolleginnen und Kollegen auch aus anderen Ländern an, in denen es bereits Pensionen für Europaparlamentarier gab.
Gräßle bezeichnet das System daher als „Lizenz zum Gelddrucken“. Mit Eigenbeiträgen, die aus der Büropauschale bestritten wurden und vom Parlament und damit aus Steuermitteln um das Doppelte aufgestockt wurden, ergab sich schon nach zwei Jahren der Einzahlung ein lebenslanger Anspruch.
Zu den Begünstigten gehört auch der heutige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der von 2004 bis 2007 Präsident des EU-Parlaments war.
Es gibt aber vereinzelt auch ehemalige EU-Abgeordnete, die den Fonds aus freien Stücken verlassen haben. Zu ihnen gehört Margaritis Schinas, der von 2007 bis 2009 dem EU-Parlament angehört hatte. Anschließend war Schinas Chefsprecher der EU-Kommission gewesen, heute ist er als Vizepräsident der EU-Kommission unter anderem für das Thema der Migration verantwortlich.
Offiziell ist das Parlament gar nicht an der privatrechtlichen Struktur des Luxemburger Fonds beteiligt. Es ist vielmehr eine Art Zusammenschluss der einzahlenden Abgeordneten. Zugleich aber zahlt es Geld aus und erwägt nun sogar, das inzwischen aufgelaufene Defizit von bis zu 300 Millionen Euro aus Steuermitteln zu begleichen, worüber das Rechercheteam von Investigate Europe im Tagesspiegel berichtet hat.
Die Enthüllung mache ihn „fassungslos“, sagte der CDU-Politiker Gunther Krichbaum, der lange Jahre dem Europaausschuss des Bundestages vorsaß, dem Tagesspiegel. „Es ist der Öffentlichkeit nicht vermittelbar, dass eine solche Zusatzversorgung für Europaabgeordnete doppelt vom Steuerzahler finanziert wird – erst durch die Aufstockung der Beiträge und jetzt zum Ausgleich der Verluste.“ Er erinnert daran, dass Deutschland alle europäischen Haushaltsausgaben zu 27 Prozent finanziert.
Seine Forderung an die Entscheidungsträger in Brüssel und Straßburg ist deshalb ganz eindeutig, es soll nicht noch mehr öffentliches Geld in den Fonds fließen: „Im Zweifelsfall muss man den Fonds pleitegehen lassen.“ Das sieht auch seine Parteifreundin Gräßle so: „Die entsprechenden Klagen der betroffenen Abgeordneten sollte man riskieren.“
Der „Freiwillige Pensionsfonds des Europäischen Parlaments“ bestand zwischen 1990 und 2009. Er wurde im Juli 2009 mit dem neuen Abgeordnetenstatut für neue Mitglieder geschlossen, als eine Neuregelung zur Pensionsversorgung der Europaabgeordneten in Kraft trat. Die finanzielle Schieflage erklärt sich damit, dass zahlreiche Europaabgeordnete aus jener Zeit inzwischen das Rentenalter erreicht haben.
Eine Lösung zur Abwendung des drohenden Defizits könnte nun darauf hinauslaufen, dass Mitglieder des Pensionsfonds wie Borrell entweder freiwillig aus der Versorgung austreten oder eine Kürzung ihrer Pensionen hinnehmen müssen. Auch eine Schließung des Fonds mit einer Auszahlung der Mitglieder oder eine Erhöhung der Beiträge bei gleichzeitiger Verringerung der Leistungen gehören zu den Möglichkeiten zur Stabilisierung der Kasse.
In der kommenden Woche will sich das Präsidium des EU-Parlaments während der Sitzungswoche in Straßburg mit der Schieflage des Fonds befassen. „In diesen Fonds dürfen keine weiteren Steuergelder fließen“, sagte der Europaabgeordnete Daniel Freund (Grüne) dem Tagesspiegel. „Alle, die schon mit Pensionen der öffentlichen Hand gut versorgt sind, dürfen nicht noch obendrauf Pensionen erhalten.“
Inhaltlich wird das Thema im EU-Parlamentspräsidium von den sogenannten Quästoren betreut, die mit Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut sind. Dazu zählen die Französin Fabienne Keller von der liberalen Renew-Fraktion, die Sozialdemokratin Monika Benova aus der Slowakei, der Luxemburger Christophe Hansen von der konservativen EVP-Fraktion sowie die Französin Anne Sander, die ebenfalls der EVP-Fraktion angehört.
Eine Lösung zur Stabilisierung des Fonds, für die in erster Linie EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola verantwortlich zeichnet, muss allerdings vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Bestand haben. Klar ist aber auch: Weil sich das Gezerre um den umstrittenen Pensionsfonds noch einige Zeit hinziehen dürfte, wird davon wohl auch die Europawahl im kommenden Jahr überschattet werden.
(Quelle: Tagesspiegel, 03. Mai 2023 von Albrecht Meier und Christopher Ziedler)